„Wisst ihr eigentlich, was mir passiert ist?“, fragte Hans. Alle wussten, dass jetzt eine unglaubliche Geschichte begann – denn so ging es meistens los.
„Vor einiger Zeit gab es in einem Baum eine fleißige Kolonie von Holzwürmern. Die machten einen guten Job und wollten dafür sorgen, dass das herumliegende Holz bald zu Staub wurde. Das brachte Platz für neue Pflanzen. Jeder bohrte sich durch seinen ihm zugeteilten Bereich, als plötzlich das kreischende Geräusch einer Motorsäge zu hören war. Einer dieser Menschen, von denen man sich erzählt, begann ausgerechnet an dem Baum herumzusägen, an dem die Holzwürmer arbeiteten. Gedankenschnell ließen sie alles, was sie in den Händen hatten, fallen. In höchstmöglichem Tempo liefen sie zur Baumrinde, um sich von dort nach unten auf das weiche Moos fallen zu lassen. Glücklicherweise hatten es fast alle geschafft.
Ja, fast alle. Bis auf einen.
Der war an seinem Platz geblieben und arbeitete weiter, weil er die Motorsäge nicht hörte. Er liebte die Musik, trug deshalb einen Kopfhörer auf den Ohren und ließ sich beschallen. Erst als das Holzstück nach oben gehoben und verladen wurde, merkte er, was los war. Er rannte natürlich sofort zur Baumrinde. Doch nun war es für eine Flucht zu spät. Weit unter ihm tat sich eine große, unbewachsene und sehr hart scheinende Fläche auf und brüllte ihm entgegen. Wenn er sich hier fallen lassen würde, könnte er beim Aufprall platzen oder sich zumindest einige seiner nicht vorhandenen Knochen brechen.“
Erschrockene Holzwürmer saßen mit weit aufgerissenen Augen da und vergaßen zu kauen. Hans sah die anderen an und nickte, um seinen Worten die notwendige Nachhaltigkeit zu geben und dann fortzufahren: „Der arme Kerl wurde nun aus dem Wald herausgeschafft und auf ein Schiff verladen. Alleine in die große, weite Welt. Zum Glück konnte er sich von dem vielen Holz, das um ihn herum lag, gut ernähren. Verhungern jedenfalls würde er auf dieser Reise nicht, das stand fest.
Tage später lud man das Holz um und es ging über staubige Wege weiter. Auf einer Kutsche, vor die Pferde gespannt waren, holperte man durch das Land. Die Sonne brannte heiß und erbarmungslos vom Himmel und in den Holzritzen wurde es fast unerträglich stickig und warm.“
Wieder hob Hans seinen Kopf. Diesmal wischte er sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Über fünfzig Augenpaare sahen gespannt zurück.
„Ihr könnt euch denken, wer der arme Holzwurm war, oder?“, fragte er.
„Na klar“, beeilte sich Paula zu sagen, „dieser Holzwurm, der arme Kerl, das warst du!“ Paula war die Frau von Paul. So wie Karla zu Karl gehörte oder Ludwiga zu Ludwig. Bei den Holzwürmern war es üblich, dass die Frauen den Namen des Mannes bekamen. Nur mit einem angehängten „A“. So wusste jeder, wer zu wem gehörte.
Die anderen stimmten ein: „Ja, du warst das!“ – „Na logisch, wer denn sonst?“ – „Das kannst nur du gewesen sein!“
Hans hob seinen rechten Arm und es wurde still.
„Ja, ihr habt recht, das war ich! Gefangen in einem stickigen Holz…."
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